Lyrik übersetzen – das Metrum und den Reim beibehalten und alles, was das Gedicht ausmacht, in einer anderen Sprache ausdrücken. Ist es möglich? Hier ein paar polnische Gedichte in meiner (M.T.) Übersetzung. Den Impuls gab Jackies Projekt „Poczet poetów/Stimmen der Dichter – multimediales Poesietheater“.
Dr. phil. Magdalena Telus
Jackie griff zurück auf Autoren des 20. Jahrhunderts. Die meisten dieser Texte fokussieren auf der Person des Dichters, nach dessen Stellung gegenüber den großen Themen der Moderne gefragt wird. Es ist vor allem das literarische Werk von Wisława Szymborska (1923-2012), in dem das lyrische Ich mit der Welt der Natur verschmilzt und so der Vergänglichkeit anheim fällt, aber auch Teil einer ewigen Kosmologie wird. Nicht einmal die Liebe ermöglicht ein Entrinnen aus dem ewigen Kreislauf, wie es die Gedichte von Mieczysława Buczkówna (1924-2015) und ihrem Mann, Mieczysław Jastrun (1903-1983), nahe legen. Mieczysława war für das Projekt „Poczet poetów/Stimmen der Dichter“ entscheidend wichtig, sie beriet Jackie bei der Auswahl der Autoren und Texte, ihr Name und ein gutes Wort öffneten die eine oder andere Tür. Wir vermissen sie sehr. Wir finden es sehr schade, dass sie unsere Mühle nicht gesehen hat („Der erste Gedichtband… Moment… wie war noch sein Titel?... ‚Trennungen’! Warum ‚Trennungen’? Weiß ich nicht“ – aus irgendeinem Grund muss ich immer schmunzeln über diese Worte von Miecia, da war sie 85.)
Aber zurück zur Literaturgeschichte: Mit der phänomenologischen Perspektive kontrastiert die Perspektive der sozialen Ordnung. Der Dichter ist hier ein Chronist, dem die moralische Pflicht der Aufzeichnung obliegt. „Weź mandolinę, na mandolinie wygrasz to wszystko…“ [nimm eine Mandoline, mit der Mandoline wirst du das alles besingen] heißt es bei Czesław Miłosz (1911-2004) angesichts der moralischen Katastrophe des Holocausts. „Das alles“ – das sind die Trümmer des Warschauer Gettos, die nach Auschwitz rollenden Züge und die Gleichgültigkeit der Zeitzeugen.
Während die Möglichkeit, der sozialen Ordnung den Rücken zu kehren, im romantischen Gestus von Władysław Broniewski (1897-1962) geprüft und letztlich in Frage gestellt wird, wird die natürliche Ordnung mit ihrer Unvollkommenheit und Verletzlichkeit in der Lyrik von Tadeusz Nowak (1930-1991) zur eigentlichen Heimat des Dichters. Aus dieser Heimat verbannt, macht er sich zum Narren, der in Ironie und Metapher nach einer neuen Zuflucht sucht, wie dies in dem Gedicht von Konstanty Ildefons Gałczyński (1905-1953) geschieht. Die Projektidee zu „Poczet poetów/Stimmen der Dichter“ entstand übrigens in Nowaks Waldhäuschen in Bolimów, wo sich Jackie und Miecia das erste Mal trafen bei Zofia, der Frau der damals bereits verstorbenen Tadeusz Nowak.
Der Dichter – ein Narr, ein Chronist, ein Romantiker; vergänglich in seiner Körperlichkeit und in Erinnerung seiner Zeitgenossen, unverzichtbar, damit das menschliche Dasein und Nichtsein erträglicher wird. Darum also scheint es zu gehen. Und hier die Übersetzungen.
Poetische und musikalische Filmetüde
"Parabel" - Zbigniew Herbert
Zdumienie/Staunen, Wisława Szymborska
In überaus einer Person – warum?
Als die – keine and’re – begrenzt. Was tun?
Warum am Dienstag? Hier und nicht fern?
Haut und nicht Schuppen? Statt Blatt ein Gesicht…
Warum nur einmal persönlich ich?
Hier auf der Erde? Am kleinem Stern?
Nach langen Zeiten der Abwesenheit
auf einmal da, anstelle von Milben
und Hohltieren, unter allen Gewölben
des Himmels nur jetzt meine Fleischigkeit.
Allein bei sich mit sich?
Im Zimmer, nicht auf dem Baum,
nicht Gestern, nicht vor Jahrzehnten
sitz’ ich und schau’ in den Raum.
– wie jenes, das auch plötzlich schaut
und knurrt und bellt – und nicht miaut.
Durchführung der Aufführung: Mieczyslawa Buczkowna - herausragende polnische Dichterin
Chwila/Ein Augenblick, Mieczysława Buczkówna-Jastrun
Alles ist ein Moment nur – der Schwalbe Flug... des Schmetterlings
Wie sich die Lilie öffnet im Teich
Das alles ist ein Moment
Ein Augenblick
Das Funkeln des Taus, der Kometenflug und der Sonnenuntergang
Das Zucken des Minutenzeigers und des Herzens
Dein Blick...
Mein Lächeln im Flash deiner Augen
Unsere Briefe, Gefühle
Mein Lächeln im Flash deiner Augen
Unsere Briefe, Gefühle
Ein Augenblick...
Elegia/Elegie, Konstanty Ildefons Gałczyński
Mehr und mehr tut mir alles weh,
auch der Käse bekommt mir nicht mehr;
mit den sieben Degen der Schwermut
bin durchstochen wie Apollinaire.
Seit früh morgens gänzlich daneben,
so ´ne Birne sprengt ganz den Rahmen.
Früher stets von Damen umgeben,
heute völlig kaputt, meine Damen.
Kann nicht schlafen. Wer klopft denn an
mit ´nem knochigen Finger so gräulich?
Ich erkenne den Sensenmann:
„Tanz mit mir“, sagt er ganz höflich.
Stimme zu, wenn auch etwas verlegen,
und schon sause ich, in Pyjama gehüllt,
durch die Nacht, durch den Wind auf Irrwegen,
wo der Sturm die Erde durchwühlt.
Plötzlich stehen bleibt im Getose
mein Begleiter, von der Frage getrieben
nach den Löchern in Jacke wie Hose:
ich sähe aus wie eine Piksieben.
„Eben“, sage ich, „es tut weh,
du mein Lieber, mon cher ami,
ich durchstach mich wie Apollinaire
siebenmal aus Melancholie.“
Przedmieście/Vorstadt, Czesław Miłosz
Die Hand mit den Karten sinkt nieder
In heißen Sand,
Die Sonne, verwelkt, sinkt nieder
In heißen Sand,
Die Bank geht an Felek, wir müssen warten
Ein Schimmer durchsticht die verklebten Karten,
der Sand ist heiß.
Schornsteinschatten gebrochen, kein Gras da drüben.
Die Stadt ringsum geöffnet mit blutigen Ziegeln.
Rostige Halden, Stacheldraht, es rührt sich nichts.
Autogerippe, Bushalte still,
Eine Lehmgrube blitzt.
Eine leere Vodkaflasche steckt
Im heißen Sand,
Ein Tropfen lässt Staub entstehen
Aus heißem Sand.
Die Bank geht an Janek, Janek teil aus,
Wir sitzen und spielen tagein, tagaus,
Zwei Jahre, vier Jahre, wir spielen immer
Das Blatt überschüttet vom schwarzen Schimmer,
Der Sand ist heiß.
Die Stadt ringsum geöffnet mit blutigen Ziegeln,
Eine Kiefer hinterm Judenhaus, von dort
Schüttere Spuren und eine Ebene ohne Ende,
Kalkstaub und die Wagen rollen fort,
Darin eine Klage, eine wimmernde.
Nimm in die Hand die Mandoline
Und sing darüber,
Schlag auf die Saiten.
Ein schönes Lied,
Ein ödes Feld,
Ein leeres Glas,
Mehr ist nicht nötig.
Sieh! Eine Dirne kommt uns entgegen,
hat Korkpantoffeln, Frisur und Stil,
Komm zu uns Mädchen, wir kennen ein Spiel.
Ein ödes Feld,
Die Sonne sinkt.
Przyjaciołom/Den Freunden, Wisława Szymborska
Mit dem Luftraum vertraut
zwischen Erde und Sternen,
verlieren wir uns im Raum
zwischen Boden und Kopf.
Es ist intergalaktisch
zwischen Leid und Tränen.
Auf dem Weg zur Wahrheit
endet deine Jugend.
Lachhaft sind die Jets,
jene Ritze der Stille,
zwischen Flug und Akustik
Weltrekordanwärter.
Es gab schnellere Abflüge.
Ihr spätes Geräusch
bringt uns um den Schlaf
Jahre später erst.
Und der Ruf ertönt:
Wir sind ohne Schuld!
Wer ruft denn so? Wir eilen
Machen Fenster auf.
Und die Stimme erlischt.
Hoch vom Himmel die Sterne
fallen wie nach ’ne Salve
von der Wand der Putz.
Nic dwa razy/Nichts geschieht zweimal, Wisława Szymborska
Nichts geschieht zweimal auf Erden
und so bleiben wird dabei:
Ungeschickt als Kind − dann sterben
weiterhin routinefrei.
Wären wir auch schlechte Schüler,
eingebildet, nichts dahinter,
werden wir nicht sitzen bleiben –
keinen Sommer, keinen Winter.
Jeder Tag und jede Nacht wird
einzigartig bleiben müssen,
Blick in die Augen – einzigartig,
ebenso jeder deiner Küsse.
Gestern, als dein Name fiel
– man sprach ihn beiläufig aus –
ging’s mir, als ob eine Rose
rein gefallen wäre ins Haus.
Heute, da wir sind zusammen,
mein Gesicht gedreht zur Wand.
Rose? Was ist eine Rose?
Eine Blume? Oder Sand?
Wegen einer schlechten Stunde
warum denn vor Sorge stöhnen?
Ist sie da, so muss sie gehen,
geht sie – also ist es schön.
Lachend und einander drückend,
keiner will den Bund verlassen,
auch wenn wir uns unterscheiden
wie zwei Tropfen reinen Wassers.
Upamiętnienie/In Erinnerung rufen, Wisława Szymborska
Sie liebten sich im Hain
im Sonnenlicht des Taus –
Erde, trockenes Laub
und die Haare zersaust.
Herz der Schwalbe
erbarme Dich ihrer.
Sie knieten am Seeufer
um das Laub zu entfernen,
die Fische kamen zu ihnen
und malten im Wasser Sterne.
Herz der Schwalbe
erbarme Dich ihrer.
Es spiegelte sich im Wasser
der leichte Hauch der Bäume.
Schwalbe mach, dass sie niemals
vergessen ihre Träume.
Schwalbe, Du Dorn der Wolke,
Du Anker der weiten Lüfte,
Du verbesserter Ikarus,
Du Himmelfahrt des Fracks,
Schwalbe, Du Kaligraphie,
Du Zeiger ohne Minuten,
Du frühe Vogelgotik,
Schielauge im Himmeltor,
Schwalbe, Du scharfe Stille,
Du frohe Traurigkeit,
Heiligenschein der Liebenden,
erbarme Dich ihrer.
Uśmiechy/Die Lächeln, Wisława Szymborska
Mehr Hoffnung weckt das Sehen als das Hören.
Staatsmänner müssen lächeln, das versteht sich.
Sie müssen ihren Frohmut demonstrieren.
Trotz komplizierter Spiele, schlechter Lage,
es spenden etwas Trost, so kann man’s sagen,
die weißen Zähne und dazu noch herzlich.
Sie müssen freundlich sein und nicht verlegen
in Sitzungssälen und der Flieger Engen.
Energisch schreiten, frohen Eindruck machen.
Ob bei Empfang, auch eines Abschieds wegen.
In solchen Fällen nützlich ist das Lachen
fürs Objektiv und für die Menschenmengen.
Im diplomatischen Dienst die Zahnheilkunde
gibt eine Garantie von langer Dauer.
Der Zahn des guten Willens darf nicht fehlen
in einer nicht besonders gut gewillten Runde.
In unseren Zeiten kann nicht überstehen,
wer im Gesicht trägt eine ganz normale Trauer.
Die verbrüderte Menschheit, soweit die Vision,
ein Land des Lächelns schaffen wird auf Erden.
Ich zweifele daran, ob es je wird werden.
Dass die Staatsmänner lächeln würden nur
wenn Frühling kommt und Sommer und das Licht,
ohne das Nervenzucken im Gesicht.
Der Mensch ist traurig nach seiner Natur.
Auf diesen warte ich und freue mich schon.
Cebula/Zwiebel, Wisława Szymborska
Anders ist da die Zwiebel.
Sie hat kein Innenleben.
Sie ist durch und durch Zwiebel
bis zum Gehtnichtmehr eben.
Hochzwiebelig nach außen,
voller Zwiebel im Kern,
schaut sie in sich hinein,
ist Entsetzen ihr fern.
In uns Fremdheit und Wildnis,
etwas Haut drum herum,
ein internes Inferno,
Biologie, die uns ängstigt.
In der Zwiebel – die Zwiebel
und nicht Darm, wirr und krumm.
Auch noch mehrfach entblößt
bleibt die Zwiebel sich ähnlich.
Zwiebel – Sein ohne Nichtsein,
ganz als Schöpfung in Ordnung.
In der ersten die zweite,
in der großen die nächste,
eine kleinre, und weiter –
dritte, vierte und sechste.
Das Prinzip Zentrifuge.
Die Choralwiederholung.
Zwiebel, das will was heißen:
So ein Bauch, der gelingt,
der sich selber zu Ehren
mit ’ne Aura umringt.
In uns – Fett, Nerven, Sehnen,
Schleim, Sekret, Feuchtigkeit.
Uns versagt bleibt der Unsinn
der Vollkommenheit.
W rzece Heraklita/Im Fluss von Heraklit, Wisława Szymborska
Im Fluss von Heraklit
fischt ein Fisch die Fische,
ein Fisch viertelt den Fisch mit einem scharfen Fisch,
ein Fisch flieht aus dem belagerten
Fisch.
Im Fluss von Heraklit
liebt ein Fisch einen Fisch,
deine Augen – schwärmt er – glänzen wie Fische am Himmel,
mit dir will ich zu gemeinsamen Gewässern schwimmen,
o du schönster
im Schwarm.
Im Fluss von Heraklit
erfand ein Fisch einen Superfisch,
ein Fisch kniet vor einem Fisch, ein Fisch singt einem Fisch,
er bittet einen Fisch, das Schwimmen möge leichter werden.
Im Fluss von Heraklit
ich, ein Einzelfisch, ein Sonderfisch
(gegenüber dem Baumfisch und dem Steinfisch)
schreibe in einzelnen Augenblicken kleine Fische
mit silbernen Schuppen so kurzweilig,
dass es vielleicht die Dunkelheit ist, die in Verlegenheit funkelt?
Urodziny/Geburtstag, Wisława Szymborska
Soviel Welt auf einmal aus jeder Weltrichtung:
Moränen, Muränen, Morgenrot, die Meere,
das Feuer, der Schweif, der Falke, die Beere –
wo stelle ich’s hin? Ich will’s lieber entbehren.
Das Dickicht und Dickmaul und die dicken Brassen,
Geranien, Heuschrecken, kein Schrank kann sie fassen.
Die Grillen, Gorillas, Beryll und Libellen,
nein, danke, wo soll ich das alles hin stellen?
In welchen Flakon sollen kommen die Kletten,
das Flattern und Fliehen der Falter – der fetten?
Wohin ich den Kolibri und das Silber verstecke?
Ein Wisent passt auch nicht so recht in die Ecke.
Und wenn schon die Luft bezahlt werden muss,
warum noch die Assel und der Oktopus?
Ich ahne den Preis auch wenn er abgerissen
von Sternen, nein danke, ich werde nichts missen.
Zu viel von dem Vielen, das denke ich schon,
wie soll damit spielen eine lebende Person?
Ich bleibe nur kurz hier, kam nur kurz vorbei:
Kann nicht unterscheiden, vertue mich dabei.
Wo alles, wo nichts ist – weiß ich keineswegs,
die Veilchen verliere ich bestimmt unterwegs.
So klein auch der Aufwand, so gleich überzogen:
Die Mühen der Blätter, Girlande und Bogen
ein einziges Mal seit jeher, unbesonnen,
verächtlich genau und erhaben zerronnen.
Zwierzęta cyrkowe/Zirkustiere, Wisława Szymborska
Es stampfen die Bären im Takt,
der Löwe springt durch den Ring,
der Affe im Kleidchen fährt Rad,
der Mensch die Peitsche schwingt
und schaukeln die Augen der Tiere,
Elefanten mit Bällen jonglieren,
die Hunde schreiten vorsichtig.
Ich Mensch, ich schäme mich.
Nicht richtig lustig das Spiel:
Geklatscht wurde oft und viel,
die Peitsche in der Hand
schnitt Kerben in den Sand.
Ciebie przypomnieć/Dich erinnern, Mieczysław Jastrun
Erinnern dich, bezeichnen dich…
Wie einen Stern, der früh gezittert,
der… Wie den Stern, der stand voll Licht,
eh’ er gelöscht wurd’ im Gewitter.
Verdeckt die Zeit des Körpers Schimmer,
Vergessenskreise zieh’n dich herein.
Dein Schatten löst sich auf vom Dasein,
geht weg – und bleibt allein für immer.
Womöglich hast du schon vergessen
die eigene Form, des Lebens Aufruhr,
aus deinem Leib herausgeschrieen,
geronnen in des Blutes Purpur…
Pacierz prywatny/Privatgebet, Tadeusz Nowak
Du unsterblicher Geist der Wiese – verzeih
du Träne mit der feucht wird das Antlitz der Pferde
du blinde Katze und du Hund ohne Bein
der du winselnd vorträgst deine Nichtbeschwerde
Verzeih mir du Birke eingeritzt mit Messer
du Apfelbäumchen das man fesselt an den Pfahl
du Hochzeitsmyrte die man in den Sand will setzen
du Lampe mit dem herbstlich kümmerlichen Strahl
Ich schäme mich vor euch und nur wenn ihr zugegen
wag ich diese Gebete nachts herumzuleiern
die das erwürgte Schäfchen den Wölfen verzeihen
und den Henker gnädig in ein Heubett legen
Verzeih mir o du Schicksal diese Narrenkappe
die ich seit vielen Jahren trage nach Geschmack
das Fürstentum verspielt auf einer Müllhalde
mit dem König gestürzt in den Abfallsack
Rimbaud/Rimbaud, Władysław Broniewski
„Nicht jenen singen, die leicht jubeln,
nicht dahin gehen, wo der Trubel,
sondern das Lied im Himmel wiegen,
und, wie ein Falke stolz, hoch fliegen,
keinen das Lied berühren lassen,
auch wenn es zieht dich in die Kluft,
auch wenn du einsam und verlassen
zum Atmen sollst verlieren die Luft…“
So denkst du, Dichter; der Tag erwacht
und die Boulevards mit ihrer Pracht,
die Seine, die wie die Lethe fließt,
auf der im Boot fährt ganz Paris.
Hör zu! Dort wo das heilige Rot
einst in die Erde sank – Musik!
Die Masse voll mit Fraß und Kot
sabbert sich voll, und tanzt und liebt
und kotzt… – bleib stehen, hör gut zu,
das soll den Zorn und Abscheu bringen,
sie rufen jetzt nach dir und du
der trunknen Meute sollst jetzt singen.
Diese Stadt ekelt dich an und würgt,
erschreckt dich, aber auch entzückt:
sie schaute stolz ins Auge dem Tod
als es nur Terror gab, kein Brot.
Aus jener Zeit der Geister Brut
erschreckt dein Herz. Es riecht nach Blut
und Frühling, eine grausame Dichte:
es wiehert der Mob, es weinen Gedichte.
Man hat vielleicht dein Herz zerrissen,
zermanscht mit Tränen und mit Dreck?
Wer ist hier lebend, man kann’s nicht wissen,
die – oder jene auf Pere Lachaise?...
O nein, du wirst kein Fährmann werden
für diese Leichen der Lebenden,
wirst dich vor ihnen stolz verbergen,
wirst einfach gehen, so wird’s enden.
Verabschieden wirst du den Planeten
(du weißt, der Weg führt nirgendwohin),
du nimmst mit dir den Zorn des Poeten,
die Jugend setzt du in den Wind.
Und das für immer. Du schickst den Massen
statt Nachricht dein erhabenes Schweigen.
Welch eine Welt aber soll dich fassen,
wenn soviel Eigensinn dir eigen?
Nic darowane/Nichts geschenkt, Wisława Szymborska
Nichts ist geschenkt, alles geliehen.
Verschuldet bis über die Ohren.
Ich werde bezahlen müssen
für mich mit mir,
Leben fürs Leben.
So ist es nun mal, das Herz
zurückzugeben, die Leber
zurückzugeben und jeder
einzelner meiner Finger.
Zu spät den Vertrag zu kündigen.
Die Schulden werden mir
abgezogen samt Haut.
Gemeinsam mit anderen Schuldnern
bevölkere ich die Welt.
Auf diesen lastet die Pflicht
zur Abzahlung der Flügel.
Ob freiwillig oder nicht
zahlen die andren das Laub.
Alles Gewebe in uns
verbucht auf der Seite Soll.
Kein Wimperchen und kein Stielchen
zu behalten für immer.
Die Liste ist genau
und es sieht danach aus,
dass uns nichts bleiben soll.
Ich kann mich nicht erinnern
wo, wann und wozu
erlaubte ich es mir
die Rechnung zu eröffnen.
Unser dagegen Protest
wird die Seele genannt.
Und das ist das einzige, das
nicht auf der Liste steht.
Stary śpiewak/Der alte Opernsänger, Wisława Szymborska
„Er singt heute so: trala tra la.
Und ich sang so: trala tra la.
Sie hören den Unterschied?
Und statt hier zu stehen, steht er hier
und schaut dorthin, und nicht dorthin,
obwohl von drüben, und nicht von drüben
sie auf die Bühne hinauflief; nicht pampa rampa pam,
sondern ganz einfach pampa rampa pam,
die unvergessliche Tschubek-Bombonieri,
nur
wer kennt sie heute noch – “
Videos - Sabin Kluszczynski